Verbot, Unterdrückung, Repression – Das letzte Stadium des Liberalismus
Von Gert Ewen Ungar
Gesellschaftssysteme werden autoritär und repressiv, bevor sie schließlich untergehen. Diese Theorie lässt sich gerade an der Wirklichkeit beobachten. Der Liberalismus westlicher Prägung steht massiv unter Druck. Die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entstandene Weltordnung mit einem einzigen Machtzentrum in den USA und dem "Washington Consensus" als weltweit durchgesetztem neoliberalen Wirtschaftsmodell bekam mit dem wirtschaftlichen Aufstieg Chinas und der Rückkehr Russlands als geopolitische Gestaltungskraft auf der Weltbühne Konkurrenz. Der Liberalismus ist in der Krise, denn er ist eben nicht das Ende der Geschichte und das alternativlos freie Gesellschaftssystem. Immer mehr Länder wenden sich ab und suchen die Kooperation mit Russland und China und streben nach einer Mitgliedschaft in den BRICS und weiteren Alternativen der transnationalen Zusammenarbeit zu den vom Westen dominierten Institutionen.
Der in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts etablierte "Washington Consensus", der seine destruktive Kraft nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion frei entfalten konnte, bedeutete die massive Umverteilung von unten nach oben weltweit. Er ging einher mit der Enteignung von öffentlichem Kapital in Form von Privatisierungen. Die Schere zwischen Arm und Reich ging und geht in westlichen Ländern immer weiter auseinander, die Verelendung nahm und nimmt immer weiter zu. Die Märkte wurden dereguliert, alles wurde dem freien Spiel der Kräfte des Marktes untergeordnet. Der Staatsanteil wurde zurückgefahren, damit einhergehend wurden der Sozialstaat und die sozialen Sicherungssysteme rückgebaut. In Deutschland wurde dies unter anderem durch die Agenda 2010, den Rückbau der Rentensicherung und die Entmachtung der Gewerkschaften umgesetzt.
Gleichzeitig behauptet der Westen, zentraler und einziger Hort der Freiheit zu sein. Meinungsfreiheit, stabile Demokratien, Presse- und Informationsfreiheit gibt es im Westen. In anderen Regionen der Welt war dies alles bestenfalls in den Anfängen, rudimentär entwickelt und brauchte westliche Unterstützung für die Entwicklung und Entfaltung nach westlichem Vorbild. Das war das Bild westlicher Staaten von sich selbst und vom Rest der Welt: Wir sind der Garten, die übrige Welt ist der Dschungel.
Darüber hinaus wurde das bis dahin Private, Individuelle ins Öffentliche getragen. Die Möglichkeit, das zu tun, wurde zum neuen Maßstab der Freiheit erklärt. Es galt, das Private, Intime und Individuelle, das jetzt in aller Öffentlichkeit stattfand, vor Diskriminierung zu schützen. Geschützt werden seitdem alle möglichen gesellschaftlichen Gruppen vor allem vor verbaler Diskriminierung, vor sogenannter "Hassrede" und Herabsetzung. Die ökonomische Diskriminierung wird dabei weitgehend ausgeklammert. Armut ist im Gegensatz zur sexuellen Orientierung ein Stigma, für das man selbst verantwortlich ist.
Mit dem Aufstieg Chinas und Russlands bekam das Modell des westlichen Liberalismus Konkurrenz. Konkurrenz soll das Geschäft ja eigentlich beleben, im geopolitischen Kontext ist allerdings genau das Gegenteil zu beobachten. Im Westen reagiert man auf diese Situation, indem man die wesentlichen Merkmale westlicher Freiheit immer weiter aufgibt und ihre Geltung nur noch behauptet, ohne sie zu leben. Mit anderen Worten, der Westen reagiert mit zunehmender Repression und nicht damit, die tatsächliche Überlegenheit des liberalen Modells unter Beweis zu stellen.
In der EU ist das am deutlichsten zu sehen. Die EU als transnationale Organisation hat selbst massive Demokratiedefizite, die sie nicht behebt, sondern immer weiter ausweitet. Das ist ein alter Hut. Es wird seit Jahrzehnten kritisiert, ohne dass sich im Grundsatz etwas ändern würde.
Was die EU aber natürlich auch tut, ist, in den Ländern, die sich ihr annähern, die Demokratie sofort auszuhebeln, wenn es ihrer Machtausdehnung dient. Zuletzt passierte das in Moldawien. Die liberale, proeuropäische Präsidentin Maia Sandu steht massiv unter Druck, denn der prowestliche Kurs führt in der aktuellen geopolitischen Konstellation zu hoher Inflation, infolgedessen zu immer weiterer Verarmung und damit zu Massenprotesten und Rücktrittsforderungen. Profitiert hat davon die prorussische Partei Șor. Die Reaktion darauf war, Șor zu verbieten.
Die EU, stets auf die Einhaltung demokratischer Standards bedacht, solange es ihren Zwecken dient, hüllt sich in Schweigen. Deutsche Medien wie die taz begrüßen das Verbot und fordern weitere Maßnahmen, um den "russischen Einfluss" zurückzudrängen. Die Möglichkeit, dass Menschen den "freien Westen" aus ganz rationalen Gründen für wenig attraktiv halten könnten, wird in den deutschen Redaktionsstuben weiterhin geleugnet. Dort nahm man schon 2014 völlig verwundert wahr, dass in der Ukraine ein relevanter Teil der Bevölkerung mit einer weitergehenden Westintegration nicht einverstanden war, weshalb im Osten des Landes ein Bürgerkrieg ausbrach. Es musste irgendwie ins Narrativ gepresst werden. Fakt ist aber, der Westen hat an Attraktivität eingebüßt.
Auch gegen das Verbot einer großen Zahl von Oppositionsparteien in der Ukraine hat man von der EU bisher wenig Kritisches gehört. Die Parteien, die verboten wurden, suchten eher die Annäherung an Russland und lehnten den Kriegskurs des Präsidenten und die wachsende Repression ab. Die Ukraine entfernt sich immer weiter von den westlichen Werten. Aber gegen all die Verbote spricht aus Sicht der EU wenig. Demokratien sind die, die für uns sind und unseren Zwecken dienen, denkt man sich in Brüssel, ganz egal wie repressiv Kiew gegen die Opposition und die Medien vorgeht.
Das macht deutlich, dass die von der EU verteidigten Freiheiten nur diejenigen sind, die ihrem Machterhalt dienen. Es sind eben keine Werte an sich.
Die Diskussion um Parteiverbote und Zensur wiederholt sich gerade in Deutschland. Die Forderung nach einem Verbot der AfD zeigt, dass Demokratie als Wert nur so lange hochgehalten wird, solange sie die bestehenden Verhältnisse stützt. Ob die AfD, sollte sie einmal gewählt werden, tatsächlich eine fundamentale Wende einleitet, steht dabei auf einem anderen Blatt. Das ist in diesem Zusammenhang allerdings unwichtig.
Analog gilt dies auch für die Presse- und Meinungsfreiheit. Sie wird nur gewährt, solange sie die bestehenden Verhältnisse stützt. Diese sind aber in einer schweren Krise. Die Verbote von RT und anderen russischen Medien belegen, dass es mit der Pressefreiheit im Westen nicht weit her ist. Die Kontosperrungen gegenüber Journalisten und Medien, die kritisch über die deutsche Politik berichten, beweisen einen Mangel an Verständnis und Verteidigungswillen dieser grundlegenden Prinzipien in Deutschland. Hinzu kommen die Strafrechts-Verschärfungen, die einen offenen Diskurs über die Ursachen des Ukraine-Konflikts faktisch unterbinden. Das System kippt in die Repression und den Autoritarismus.
Begleitet wird all das von einer repressiven Kultur der Unterdrückung anderer Meinungen und Sichtweisen. Das links-liberale Bürgertum verhindert einen offenen Diskurs, indem es andere Meinungen "cancelt". Es ist eben längst nicht mehr so, dass in Deutschland jeder seine Meinung öffentlich äußern darf. Auch strafrechtlich völlig irrelevante Meinungen werden in Deutschland ganz offen unterdrückt. Der liberale Westen ist inzwischen alles, nur nicht liberal.
Diese Entwicklungen machen deutlich, dass das Ende des Liberalismus längst eingeläutet wurde. Er ist in seine letzte, autoritäre und repressive Phase eingetreten. Tatsächliche Freiheit gibt es im Westen, in der EU und in Deutschland immer weniger und vor allem für einen immer kleineren Kreis, der die zunehmenden Repressionen nur deswegen nicht bemerkt, weil er im Kern auf Linie ist und sich an ihr beteiligt. Überlebenschancen, das zeigt die Geschichte, hat ein solches auf Unterdrückung und Repression basierendes System allerdings nicht. Es ist das finale Stadium. Die Zeit des Liberalismus westlicher Prägung kommt an ihr Ende.
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